Steht Leipzigs Wohnungsmarkt vor einer Überversorgung?
Leipzig befindet sich in einer spannungsvollen Phase zwischen Wachstum und Seitwärtsentwicklung. In der Stadtgesellschaft werden intensive Diskussionen über den Wohnungsmarkt und den weiteren Weg der Sachsenmetropole geführt. In dieser Situation sehen sich die sechs großen Leipziger Wohnungsgenossenschaften mit stadtweit über 50.000 Mitgliedern als ein Stabilitätsanker und Garant für leistbaren Wohnraum. Warum Sachsens größte Stadt ihrer Ansicht nach über einen bezahlbaren Wohnungsmarkt ohne Anspannung verfügt und sich sogar eine Trendwende am Markt abzeichne, haben sie nun im Rahmen einer Pressekonferenz erläutert.
Trende durch gegenläufige Tendenzen
Das zentrale Ergebnis der aktuellen Marktanalyse der Leipziger Wohnungsgenossenschaften lautet: Leipzig verfüge über einen bezahlbaren Wohnungsmarkt ohne Anspannung. Mehr noch: Aufgrund gegenläufiger Tendenzen – ein stark steigendes Angebot trifft auf eine einbrechende Nachfrage – drohe der Markt in Richtung Überversorgung zu drehen.
„Es existiert eine gefühlte Marktanspannung, die durch unsere Daten nicht gedeckt ist“, sagt Jörg Keim, Vorstandsvorsitzender der Wohnungsbau-Genossenschaft Kontakt eG. „Beliebte Lagen sind immer und überall teuer. Dort für mehr Wohnungen zu sorgen, senkt jedoch nicht die Nachfrage, sondern schwächt die Stadtteile mit niedrigerer Durchschnittsmiete, die dann aus dem Fokus geraten. Hier braucht es einen Paradigmenwechsel. Das Ziel muss lauten, alle Viertel, gerade auch die peripheren, weiter zu stärken.“
Die alljährliche Analyse zeigt: Die durchschnittliche Nettokaltmiete aller vermieteten Wohnungen der sechs Genossenschaften – BGL, Kontakt, Lipsia, UNITAS, WOGETRA, VLW – liegt derzeit bei 5,14 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Das entspricht einer Erhöhung um gerade einmal 2,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch bei den Neuvertragsmieten (Angebotsmieten) lässt sich allenfalls ein moderater Anstieg auf im Schnitt 6,09 Euro je Quadratmeter bei Bestandsgebäuden (plus 5,7 Prozent) und 9,15 Euro je Quadratmeter bei Neubau und Kernsanierung (plus 2,8 Prozent) feststellen. In ganz Leipzig betragen die Bestandsmieten 6,03 Euro je Quadratmeter und die Neuvertragsmieten 6,90 Euro je Quadratmeter (Bestandsgebäude) bzw. 10,50 Euro je Quadratmeter (Neubau), so die Bürgerumfrage 2019 der Stadt Leipzig sowie Angaben des Analysehauses Colliers International.
Ehrliche Lagebeschreibung ...
Den Leipziger Wohnungsgenossenschaften geht es nach eigener Aussage um eine ehrliche Lagebeschreibung. Ihr marktaktiver Leerstand etwa beträgt zusammen 4,9 Prozent – 2.327 Wohnungen seien damit sofort beziehbar. Die offiziellen Leerstandszahlen der Stadt Leipzig von 2 Prozent halten sie daher für fraglich. „Wir gehen nach Sichtung aller Zahlen eher davon aus, dass aktuell bis zu 10.000 Wohnungen in Leipzig sofort verfügbar sind – auch im sogenannten ‚bezahlbaren‘ Bereich“, unterstreicht Wolf-Rüdiger Kliebes, Vorsitzender des Vorstandes der VLW Vereinigte Leipziger Wohnungsgenossenschaft eG.
Von Relevanz sei auch die Frage, wie viele Wohnungen die Sachsenmetropole tatsächlich benötigt. Zuletzt ging der Zuzug deutlich zurück – auf nur noch 5.151 Personen im Jahr 2019, im zweiten Quartal 2020 verzeichnet Leipzig sogar eine leichte Abwanderung. Gleichzeitig stieg die Zahl der fertiggestellten Wohnungen in den letzten drei Jahren um 42,4 Prozent auf 2.356 Einheiten, zeigen Zahlen des Statistischen Landesamtes Sachsen. Insgesamt sind laut der Datenbank GeoMap derzeit 20.795 Wohnungen in Leipzig geplant oder im Bau befindlich. Allein dies decke nach Genossenschaftsschätzungen rechnerisch den Bedarf für die nächsten 20 Jahre, wenn sich das Abflachen der Zuwanderung in Kombination mit dem realen Leerstandssockel so fortsetzt.
Für Steffen Foede, Vorstand der Wohnungsgenossenschaft UNITAS eG, gibt die konträre Entwicklung Anlass zur Sorge: „Der Leipziger Wohnungsmarkt tendiert mittlerweile sogar in Richtung Überversorgung. Wenn wir nicht reagieren, droht ein Überangebot, das zu mehr Leerstand führt und neue soziale Probleme schafft. Außerdem werden sich die Spielräume für Bestandshalter und Bauherren einengen. Das geht vor allem zu Lasten der sozialen regionalen Anbieter, also uns Genossenschaften und der kommunalen Wohnungsgesellschaft LWB.“
... und nötige Strategien
Für ein zukunftssicheres Leipzig fordern die Leipziger Wohnungsgenossenschaften eine ehrliche, an Fakten orientierte Wohnungspolitik. Statt Neubau um jeden Preis gehe es um die Förderung der preiswerteren Bestandsertüchtigung und bedarfsgerechten Neubau mit Sozialwohnungsanteil – vorzugsweise in Stadtteilen außerhalb des Zentrums. Bei den sechs Genossenschaften zum Beispiel flossen 2019 eigenen Angaben zufolge fast 90 Prozent der Gesamtinvestitionen in den Bestand (insgesamt 84,4 Millionen Euro). Vor allem aber bedürfe es eines genauen Blickes auf den gesamten Leipziger Wohnungsmarkt, nicht nur auf Connewitz und die Südvorstadt.
Mirjam Luserke, Vorstand Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften e. V. (VSWG), unterstützt diese Forderungen: „Regulierungswut oder nicht bedarfsgerechter Neubau können ganz schnell in eine schwierige Situation führen. De facto entsteht so eine Schieflage im Leipziger Wohnungsmarkt. Es braucht vielmehr endlich eine ehrliche, an den tatsächlichen Gegebenheiten orientierte Auseinandersetzung aller Beteiligten mit dem Thema Wohnen. Mit Symbolpolitik und Polemik, die Fakten völlig ausblendet, ist schließlich niemandem geholfen.“